08.06.2018

Die Zukunft der Arbeit: Selbstständigkeit?

FastBill Redaktion
FastBill Redaktion
Unternehmertum, Finanzen und Buchhaltung
Die Zukunft der Arbeit: Selbstständigkeit?

Zusammenfassung

In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit dem Thema Selbstständigkeit. Du lernst, wie Selbstständigkeit entsteht und wie es aktuell um Selbstständigkeit in Deutschland bestellt ist.
11 Minuten Lesezeit

Was du erfährst

  • Welche Faktoren für die Selbstständigkeit gegeben sein müssen
  • Wie sich der Arbeitsmarkt für Selbstständige entwickelt
  • Welche Risiken die New Economy mitbringt
  • Warum du dir als Selbstständiger Netzwerke aufbauen solltest

Für FastBill angefangen habe ich als Selbstständiger aus Australien, mittlerweile bin ich fest angestellt, arbeite jedoch trotzdem noch remote aus Münster und bin nur zwischendurch in unserem Frankfurter Büro.

Als Kontist vor zwei Wochen die Blogparade zum Thema Die Zukunft der Arbeit - Selbstständigkeit? ausgerufen hat, sind in meinem Kopf direkt viele Ideen entstanden. Unter anderem die für eine neue Reihe auf dem FastBill Blog: Die Zukunft der Arbeit. Dabei werden wir zukünftig regelmäßig Themen behandeln, die sich damit auseinandersetzen, wie wir in Zukunft arbeiten werden.

Ich selbst setze mich gerne mit (neuen) Arbeitsmodellen auseinander und Selbstständigkeit ist definitiv mehr als nur eine Option für die Zukunft. In diesem Beitrag versuche ich zu erklären, wie Selbstständigkeit überhaupt entsteht und wie es aktuell um Selbstständigkeit in Deutschland bestellt ist. Beides sind meiner Meinung nach wichtige Faktoren, um anschließend einen Ausblick auf die Zukunft geben zu können.

Die Entwicklung der Selbstständigkeit in Deutschland

Die Zahl der Selbstständigen in Deutschland ist seit 1950 stark zurückgegangen. Gab es 1950 noch über 6,3 Mio. Selbstständige in Deutschland, sind es 67 Jahre später nur noch ca. 4,3 Mio (vgl. Destatis).

Woran das liegt? Um die Entwicklung zu verstehen, müssen wir uns zunächst mit den Faktoren beschäftigen, die einen Anstieg an Existenzgründungen bedingen.

Grundlagen für die Entstehung von Selbstständigkeit

Damit Menschen sich überhaupt dafür entscheiden, Unternehmer zu werden, müssen verschiedene, grundlegende Faktoren gegeben sein. Aktuell dämpft die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt beispielsweise „das Interesse der Menschen an einer Selbstständigkeit“ (vgl. Tagesspiegel).

Ähnlich verhielt es sich bereits in den 60er Jahren, als in Deutschland nahezu Vollbeschäftigung herrschte (vgl. bpb). Hier ging die Zahl der Selbstständigen sogar deutlich zurück und fiel von fast 6 Mio. In 1960 auf knapp 4,3 Mio. im Jahr 1970.

Drohende Arbeitslosigkeit

Im Gegensatz dazu ist mit wachsender Arbeitslosenquote auch ein Anstieg an Existenzgründungen zu beobachten. Drohende Arbeitslosigkeit bzw. mangelnde Jobsicherheit ist also ein Faktor, der entscheidend zur Entstehung von Selbstständigkeit beiträgt.

Sinnfindung wichtiger als Konsum

Unternehmer sein, bedeutet oft, (scheinbare) Sicherheit gegen Freiheit einzutauschen. Die wachsende Freiheit bringt neue Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen. Das Ziel eines wachsendes Einkommens weicht dem Wunsch, einen tieferen Sinn und Erfüllung in der eigenen Arbeit zu finden.

An dieser Stelle möchte ich vor allem auf Frithjof Bergmann als Begründer der „New Work“ Bewegung verweisen, für den Arbeit eine Kombination aus Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung und Selbstversorgung sein sollte. Zum Thema „New Work“ erscheint in den nächsten Wochen ein weiterer Artikel unserer Reihe „Zukunft der Arbeit“.

Die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft eröffnet immer neue Möglichkeiten für Selbstständige und erweitert die bereits bestehenden. Der Markt für Dienstleistungen, die typischerweise von Selbstständigen erbracht werden, wächst.

Einen großen Anteil daran haben Plattformen wie Upwork, Jovoto und Co, die jedoch nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch Risiken mit sich bringen. Doch dazu später mehr.

Knowledge workers

Immer mehr Selbstständige brauchen in Zeiten der Wissensgesellschaft lediglich ihren Laptop, um zu arbeiten und sich zu organisieren. Ihr Produkt ist eine gute Idee, die eigene Kreativität oder Arbeitskraft und sie verkaufen die Produktion, Verarbeitung, Verteilung und Verwaltung von Informationen.

Technologischer Fortschritt

Ortsunabhängiges Arbeiten ist mehr als nur ein Trend. Mit den heutigen Möglichkeiten ist es problemlos möglich, einzelne Abteilungen oder ganze Unternehmen auf der ganzen Welt zu verteilen. Denkbar sind auch Konzepte in denen Unternehmen nur noch als Plattform für die Zusammenarbeit einzelner Selbstständiger dienen.

Das kann z.B. ein Mix aus Community und Coworking Space sein, in dessen Gefügen sich Selbstständige als Netzwerk organisieren und gemeinsam Aufträge bearbeiten, wie bei cloudsters aus Lübeck.

Unternehmen öffnen sich

Outsourcing und die wachsende Flexibilisierung von Unternehmen ermöglichen auch für Selbstständige neue Möglichkeiten. Die Grenzen verschwimmen und Selbstständige arbeiten auf Projektbasis oder für eine bestimmte Zeit in den Unternehmen mit. Die Grenzen zwischen Angestellten und Selbstständigen verschwimmt.

Weniger Selbstständigkeit, aber mehr Dienstleister

Laut dem statistischen Bundesamt ist die absolute Zahl der Selbstständigen in Deutschland in den letzten Jahren gesunken. Das wirkt auf den ersten Blick überraschend vor lauter Startup-Shows und YouTube-Kanälen, die sich mit Unternehmertum auseinandersetzen.

Auf den zweiten Blick wird jedoch klar, dass vor allem der primäre und sekundäre Sektor schrumpfen bzw. stagnieren, also Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei und das produzierende Gewerbe. In den letzten 10 Jahren ist die Zahl der Selbstständigen im primären Sektor um fast 2 Prozentpunkte gesunken (von 8% auf 6,2%) und im sekundären immerhin auch um 0,1 Prozentpunkte (von 17,4% auf 17,3%).

Der tertiäre Sektor hingegen, der Dienstleistungen umfasst, ist seit 2007 um zwei Prozentpunkte gewachsen und umfasst mittlerweile 76,5% aller Selbstständigen.

entwicklung selbststaendigkeit deutschland

 

Quelle: Statistisches Bundesamt

 

Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft

Seit 1950 haben sich diese Zahlen mehr als umgekehrt: Damals entstammten 60% der dem primären Sektor und lediglich 23,1% boten Dienstleistungen an.

Diese Entwicklung ist, unter Berücksichtigung der oben genannten Faktoren, wenig verwunderlich. Es ist heutzutage leichter als je zuvor sich Selbstständig zu machen: Ein Laptop und eine gute Idee sind vollkommen ausreichend.

Interessant wäre sicherlich auch eine weitere Aufschlüsselung des tertiären Sektors, sodass ein quartärer Sektors entstehen würde, unter dem die oben genannten Knowledge workers zusammengefasst werden könnten.

Selbstständig trotz oder wegen Automatisierung?

Fakt ist, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten sehr viele Jobs, die wir heute noch als selbstverständlich ansehen, automatisiert werden und verschwinden.

Diese Automatisierung betrifft nicht nur Berufe wie Taxi- oder LKW-Fahrer, dessen Jobs in Zukunft wahrscheinlich selbstfahrende Autos übernehmen werden, sondern zieht sich durch alle Branchen und betrifft Berufe jeglicher Qualifikation. Schon heute gibt es Software, die Verträge deutlich schneller prüfen kann als ein Anwalt, Autohersteller arbeiten längst mit vollautomatisierten Fabriken und auch Berufe wie Buchhalter und Steuerfachangestellte werden sich grundlegend verändern bzw. werden durch automatisierte Buchhaltungsvorbereitung teilweise obsolet.

Das IAB hat übrigens den Job-Futuromat entwickelt, bei dem jeder testen kann, ob sein Job bereits von einem Roboter erledigt werden könnte. Wichtig ist, dass die Berufe automatisiert werden, die Menschen jedoch nicht einfach weg sind. Hier sind Politik, Gesellschaft und jeder Einzelne gefragt, um Lösungen zu entwickeln. Selbstständigkeit kann dabei eine persönliche Lösung sein.

New Economy gleich Gig Economy?

Dienstleistungen statt Produktion, Computer statt Fabrik. Die New Economy hat Arbeit (noch) nicht obsolet gemacht, sie aber bereits grundlegend verändert. Doch die neuen Freiheiten und Möglichkeiten eröffnen auch Risiken.

Upwork, Fiver, Jovoto & Co

Für die einen ist es eine tolle Möglichkeit sich zu präsentieren, ein Portfolio aufzubauen und langfristige Kundenbeziehungen zu knüpfen. Für die anderen bedeutet es Ausbeutung, Überstunden und Unsicherheit. Plattformen wie Upwork oder Jovoto sind beliebt, da sie kleinen Selbstständigen schnelles Geld und einen Pool an Aufträgen und Auftraggebern günstige, schnelle und professionelle Ergebnisse versprechen.

Die Mehrheit geht leer aus

Dass das oft zutrifft, steht außer Frage. Doch in vielen Fällen gibt es, je nach Modell, gar keine Belohnung für geleistete Arbeit. Ein Kunde lobt beispielsweise ein Preisgeld für das beste Design eines Logos aus. Geld, das nur der Designer bekommt, der gewinnt. Alle anderen gehen leer aus.

Ob das gerecht ist? Wer sich auf solchen Plattformen anmeldet, muss es zumindest akzeptieren, so die Argumentation. Ob es Alternativen gibt? Bestimmt, aber da ist der Einstieg schwieriger. Und zur Akquise von Neukunden ist es immerhin eine gute Möglichkeit, um sich zu präsentieren und wirklich ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen.

Wir müssen Voraussetzungen für die Zukunft schaffen

Mit wir meine ich dich, uns (FastBill) als Organisation und Innovationstreiber, andere Unternehmen, die Gesellschaft, die Politik und natürlich auch mich selbst. Wir alle müssen definieren, wie wir in Zukunft arbeiten möchten und Lösungen finden, die möglichst vielen Menschen ein sinnstiftendes Arbeitsleben ermöglichen.

Bedingungsloses Grundeinkommen

„Nehmt das Sicherheitsbedürfnis und Freiheitsbedürfnis der Menschen ernst, dann werden sie kreativ und setzen sich für das große Ganze ein.“

Dass das bedingungslose Grundeinkommen mittlerweile prominente Unterstützung durch beispielsweise Telekom CEO Tim Höttges oder dm-Gründer Götz Werner bekommt, ist nur ein Beweis dafür, dass das Konzept mehr als nur eine fixe Idee ist.

Denn: Wer keine finanziellen Sorgen hat, der kann sich entfalten. Der muss sich nicht länger in einem Job krumm machen, der ihm keinen Spaß macht, aber halt die Miete zahlt. Also dieselbe Motivation, die heute schon viele Menschen zur Selbstständigkeit bringt.

Doch auch die Gegenseite ist nicht ohne Argumente: Anstiftung zur Faulheit oder Bezahlung fürs Nichtstun sind nur zwei mögliche Beispiele.

Soziale Absicherung

Als letztes Jahr der Vorstoß aus der Politik kam, eine Rentenversicherungspflicht für Selbstständige einzuführen, war das Echo nicht gering. Der Staat wolle Selbstständige bevormunden, hieß es zum Beispiel im Kommentar von Hubertus Porsche bei impulse.

Porsche eröffnete in seinem Kommentar auch bereits eine bessere Alternative: Eine Altersvorsorgepflicht anstatt einer Rentenversicherungspflicht. Dass das Thema generell wichtig ist, ist Fakt, wie Porsche auch anmerkt. Denn: Viele ehemals Selbstständige sind im Alter auf Grundsicherung angewiesen.

Mittlerweile ist es soweit gekommen und die Pflicht zur Altersvorsorge für Selbstständige ist Teil des Koalitionsvertrags der aktuellen Regierung:

„Um den sozialen Schutz von Selbständigen zu verbessern, wollen wir eine gründerfreundlich ausgestaltete Altersvorsorgepflicht für alle Selbständigen einführen, die nicht bereits anderweitig abgesichert sind. Dabei sollen diese zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und – als Opt-out-Lösung – anderen geeigneten insolvenzsicheren Vorsorgearten wählen können. Zudem werden wir die Mindestkrankenversichungsbeiträge für kleine Selbstständige reduzieren.“

Dabei soll es immerhin die Option geben, nicht in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen zu müssen, sondern sich eine geeignete Alternative zu suchen. Wie realistisch diese Option ist und welche Möglichkeiten es tatsächlich gibt, wird sich zeigen. Eine gute Nachricht ist auf jeden Fall die Senkung der Mindestkrankenversicherungsbeiträge für kleine Selbstständige.

Netzwerke aufbauen

Damit Selbstständige sich auch zukünftig weiter als Einzelkämpfer durchschlagen können, ist vor allem gute Organisation nötig. Verbände, Vereine, Netzwerke, Plattformen - sie alle können helfen, um nicht alleine dazustehen als Selbstständiger und können eine Gruppe ermächtigen, um Staat und Konzernen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein.

Diese Organisationen werden in Zukunft wichtiger, weil Selbstständige per se weniger geschützt sind als normale Angestellte. Bearbeitet ein Netzwerk aus Selbstständigen ein Projekt innerhalb eines Unternehmens, wie beispielsweise bei Cloudsters (s.o.), entsteht eine komplett andere Situation, als wenn jeder Selbstständige für sich einen Teil des Projekts bearbeitet. Im Netzwerk-Szenario kann das Unternehmen nicht einfach einzelne Selbstständige fallenlassen und austauschen, ganz im Gegensatz zum Einzelfall.

Auch Communities wie beispielsweise die Kontist Union können einen großen Beitrag zur Organisation leisten. Hier können ähnliche Job-Netzwerke gebildet werden, es findet Austausch über Themen wie Buchhaltung, Versicherungen oder IT statt und Erfahrungen können an andere Selbstständige weitergegeben werden.

Ist Selbstständigkeit die Zukunft der Arbeit?

Ja und Nein. Einerseits wird es, bedingt durch die eingangs erwähnten Faktoren, mit Sicherheit weiterhin zu einem Wachstum im tertiären (bzw. quartären) Sektor kommen. Durch immer geringere Hürden (bessere Verfügbarkeit von Informationen, technologischer Fortschritt, Automatisierung) sinken darüber hinaus die Eintrittsbarrieren in die Selbstständigkeit weiter.

Wenn dann noch gesellschaftliche und politische Voraussetzungen (z.B. Absicherung) hinzu kommen, wird die Selbstständigkeit für viele Menschen bestimmt eine interessante Alternative.

Fakt ist aber auch: Nicht jeder ist für eine Selbstständigkeit geeignet. Es bedarf nun mal gewisser Flexibilität und bestimmter Motivation, um sein eigener Chef zu sein. Insofern wird Selbstständigkeit wohl erstmal nicht DAS Modell werden, nach dem wir alle arbeiten. Es kann aber nicht schaden, sich zumindest Gedanken darüber zu machen und es in Erwägung zu ziehen. Wir können mehr wirklich gute Ideen sehr gut gebrauchen.